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Willkommen in der Zukunft

Ein Gespräch mit Betriebsprüferin Frau Andrea Köchling zur Bedeutung von Prozessdokumentationen und Kontrollmechanismen im Rahmen von steuerlichen Betriebsprüfungen (TEIL 2)

Zur Person: Andrea Köchling

Frau Köchling ist seit 1999 als Umsatzsteuersonderprüferin erst in Dortmund, ab 2007 in Hamburg und dort seit 2014 als Betriebsprüferin für KMU und Großbetriebe tätig.

Nebenamtlich unterrichtet sie seit 2010 als Dozentin an der Norddeutschen Akademie der Finanzen im Bereich der Ausbildung für neu eingesetzte Betriebsprüfer sowie in der Fortbildung. Seit 2021 ist sie zudem nebenberuflich an der Dualen Hochschule Baden Württemberg (DHBW) tätig.

Seit 2018 ist sie als selbständige Referentin zu den Themen Kassenführung, Verfahrensdokumentation und Umsatzsteuer bundesweit tätig. Darüber hinaus ist Frau Köchling seit 2020 Autorin beim IWW – Verlag sowie für die Zeitschriften beck.digitax, und REThinking TAX.

Die wichtigsten Aussagen

  • Wenn Geschäftsvorfälle nicht nachvollziehbar und nicht nachprüfbar sind, liegt ein Mangel vor. Das Fehlen einer Verfahrensdokumentation ist ein formeller Mangel, der allein aber nicht zu einer Schätzung berechtigt.

  • Die Erstellung einer Verfahrensdokumentation ist kein „Frage-Antwort-Spiel“, sondern eine Prozessoptimierung, eine Prozessgestaltung, eine Unternehmensberatung.

  • Es gibt so viele gute Gründe als Unternehmer eine Verfahrensdokumentation zu erstellen: Prozessoptimierung, schnellere Einarbeitung von Mitarbeitern, kein Verlust von Wissen bei Krankheit oder Wechsel, diverse Notfallpläne oder Hinweis auf Datensicherung.

  • Eine Betriebsprüfung ist das Beste, was einem Unternehmen passieren kann, da sich ein sachverständiger Dritter (zumindest vorerst) kostenlos die Prozesse des eigenen Unternehmens durchleuchtet.

Das Gespräch (TEIL 2)

Frau Köchling führte das Gespräch in nicht dienstlicher Eigenschaft. Gesprächspartner war Steuerberater Eugen Müller, der sich auf die Themen Verfahrensdokumentation, Steuer-IKS und Tax-Compliance spezialisiert hat. Das Gespräch besteht aus mehreren Teilen.

Im Folgenden können Sie den zweiten Teil lesen, bei dem es um alle Themen rund um die Erstellung einer Verfahrensdokumentation geht.

Eugen Müller: Sie hatten im 1. Teil unseres Gesprächs das Thema Ersetzendes Scannen angesprochen. Aus der Praxis kann ich Ihnen sagen, dass die Bereitschaft Dokumentationen zu erstellen, viel größer ist, wenn die Unternehmer das Papier dann tatsächlich nicht mehr aufbewahren müssen, also vernichten dürfen. Was in der Praxis allerdings ein Problem darstellt, ist die Unsicherheit, ob das tatsächlich auch erlaubt ist. Ist eine Dokumentation zum Ersetzenden Scannen wirklich ausreichend, um Papierdokumente vernichten zu dürfen? Ich persönlich bin mir sicher, dass wenn wir in der Kommunikation zwischen Unternehmer und Finanzverwaltung Rechtssicherheit schaffen und die Unsicherheiten beheben, das Thema der Dokumentationen auch aktiver seitens der Unternehmer angegangen wird, weil dann auch ein tatsächlicher Nutzen gesehen wird.

Andrea Köchling: Ich habe zu dem Thema belegersetzendes Scannen einen Aufsatz geschrieben, der in der Zeitschrift „REthinking Tax“ (Ausgabe 06/2020) abgedruckt ist. Da habe ich mich schon mal mit diesem Thema beschäftigt. Was ich dazu sagen kann: Es gibt bestimmte Dokumente, die man scannen kann, die aber auf jeden Fall zur Sicherheit noch im Original behalten werden sollten. Also alles einscannen und alles vernichten ist sicherlich nicht die ideale Lösung.

Sie sprechen jetzt wahrscheinlich insbesondere von originalen Notardokumenten oder Zollunterlagen. Aber gerade bei vielen Unternehmen ist das nicht unbedingt die Masse an Dokumenten. Darüber hinaus gibt es deutlich mehr Unterlagen, die theoretisch unter das Thema ersetzendes Scannen in der Form fallen, dass diese tatsächlich vernichtet werden könnten. Wie können Unternehmer das dann aber tatsächlich rechtssicher durchführen, sodass nicht irgendwo im Hintergrund doch noch dieses potenzielle Risiko schlummert, dass das ein Betriebsprüfer vielleicht anders sehen könnte, was dann dazu führt, dass man doch lieber alles aufhebt und die nächste Betriebsprüfung abwartet und erst wenn diese abgeschlossen ist, alle Unterlagen vernichtet werden?

Die GoBD sagen sinngemäß, wenn etwas gescannt wurde, dann hat das sog. „Digitalisat“ die gleiche Bedeutung wie das Original. Von daher dürfte es in der Betriebsprüfung dann auch keine Probleme damit geben. Es ist aber so, dass die Gerichte das im Rahmen einer Beweisführung wieder anders sehen. Nach deren Meinung hat das eingescannte Dokument eine Beweiskraft wie eine Kopie und dies ist dann eine geringere Beweiskraft als beim Original.

Sie haben gerade eine Fundstelle in den BMF-Schreiben zu den GoBD angesprochen, die besagt, dass wenn gescannt wird, das Papier der weiteren Bearbeitung zu entziehen ist. Dann ist natürlich auch sicherzustellen, dass das Digitalisat wie das Original zu behandeln ist. Wenn das vor Gericht nicht so gilt bzw. unabhängig davon, was in den GoBD steht, keine Rechtssicherheit besteht, führt das natürlich nicht zu Vertrauen. Brauchen wir alle, also Unternehmer, Berater und Finanzverwaltung noch mehr Erfahrung mit diesem Thema? Müssen sich Standards bilden, die allgemeingültig sind?

Ich denke, Sie haben einen ganz wichtigen Punkt angesprochen: Wir brauchen einfach mehr Erfahrung im Umgang mit diesem Thema. Diese Erfahrung entsteht aktuell einerseits in Arbeitskreisen, in denen man diese Themen diskutiert, aber andererseits auch durch Gerichts- oder sogar in BFH-Urteile. Da kann dann sowas hoch kommen, dass ein Betriebsprüfer einen Scan nicht anerkannt hat und deswegen einen Betriebsausgabenabzug oder die Vorsteuer versagt und das dann richterlich entschieden wird.

Mit zunehmender Digitalisierung ist die Verfahrensdokumentation ein Pflichtbestandteil für jedes Unternehmen

Ich habe noch eine Frage, die aus meiner Sicht für jeden Unternehmer wichtig ist und jeder Steuerberater auch aus der Praxis kennt. Das Thema Verfahrensdokumentation existiert ja bereits seit den 90er Jahren. Neu ist aber, dass es in den letzten Jahren so an Bedeutung gewonnen hat. Wir Steuerberater sind genau aus diesem Grund oft der Diskussion ausgesetzt, warum denn ausgerechnet jetzt eine Dokumentation erstellt werden soll, obwohl das doch schon seit Jahrzehnten gefordert wird. In der Vergangenheit hat auch kein Betriebsprüfer danach gefragt. Wie sehen Sie das?

In der Vergangenheit hat das wenig interessiert, weil wenig digital abgelaufen ist. Also wenn wir in einen Betrieb gekommen sind, dann konnten wir davon ausgehen, dass alle Unternehmensschritte immer gleich abgelaufen sind. Mit zunehmender Digitalisierung und der weiteren technischen Entwicklung ist das jetzt aber nicht mehr so. Von 1995 bis jetzt hat sich sehr viel getan, wodurch auch die Bedeutung der Verfahrensdokumentation immer weiter in den Fokus geraten ist. Einen weiteren Schub haben auch das neue Kassengesetz von 2016 zum Schutz der Manipulation und Grundaufzeichnung sowie das BMF-Schreiben zu den GoBD aus 2014 und 2019 gegeben. Also denken wir an GDPdU-Daten oder die Möglichkeit, dass die Finanzverwaltung digitale Einzeldaten der Vorsysteme, der Warenwirtschaftssysteme, der ERP-Systeme hat. Das war 1995 noch überhaupt nicht angedacht.

Sie haben das jetzt sehr gut beschrieben. Die Zunahme an Daten ist enorm, sodass es einfach nicht mehr anders möglich ist Sachverhalte nachzuvollziehen. Und auch wenn eine Verfahrensdokumentation bereits in den 90er Jahren gefordert wurde, war deren Bedeutung natürlich deutlich geringer. Heutzutage gibt es, glaube ich kein Unternehmen mehr, das in irgendeiner Form ohne digitale Tools auskommt, sei es denn nur das E-Mail-Programm.

Gerade in der Pandemie begünstigt ist der Online-Handel. 1995 war das noch kaum Thema. Mittlerweile ist das aus unserem Leben gar nicht mehr wegzudenken. Und was sich daher für neue Tools entwickelt haben, die zum Beispiel via Schnittstellen Daten direkt aus den großen Online-Marktplätzen absaugen, verarbeiten und zum Steuerberater überspielen, verdeutlicht die zunehmende Bedeutung der Notwendigkeit von Dokumentationen, um diese Prozesse überhaupt noch beherrschen zu können.

„Eine Betriebsprüfung ist das Beste, was einem Unternehmen passieren kann.“

Abschließend noch die Frage: Was sind denn die Folgen oder was können die Folgen einer nicht vorhandenen Dokumentation sein? Insbesondere vor dem Hintergrund einer Betriebsprüfung. Es gibt Betriebsprüfungen, die laufen sehr gut und ohne Beanstandungen ab und dann gibt es Betriebsprüfungen, bei denen das ein oder andere hochkommt. Wenn man sich diese zwei Arten der Betriebsprüfungen oder deren Ergebnisse anschaut, welche Rolle spielt dann eine fehlende Verfahrensdokumentation?

Die GoBD besagen, dass wenn ich die Geschäftsvorfälle nicht nachvollziehen und nachprüfen kann ein Mangel vorliegt. Was aber nicht stimmt, ist, dass wenn eine Verfahrensdokumentation fehlt, nur aus diesem Grund eine Schätzung aufgrund eines formellen Mangels vorgenommen wird. Das ist meiner Ansicht nach nicht richtig, denn die Schätzungsverpflichtung nach § 162 Abgabenordnung ist nicht so einfach möglich. Als Betriebsprüfer muss ich den Grundsatz nach § 158 Abgabenordnung wirklich entkräften [Anmerkung: Die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, sind der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden]. Dazu brauche ich bestimmte Prüfungsmethoden. Erst wenn ich dann formelle oder materielle Fehler finde und diese auch von Gewicht sind oder die Anzahl der formellen Fehler so hoch ist, dass irgendwann diese Waagschale kippt, erst dann bin ich in der Schätzungsverpflichtung. D.h. also, wenn ich Sachverhalte nicht aufklären oder nachvollziehen kann.

Ich glaube das ist eine sehr wichtige Klarstellung.

Eine Sache möchte ich gerne noch sagen. Ich höre oft, dass darüber geklagt wird, dass erst die DSGVO kam und jetzt auch noch die Verfahrensdokumentation, die sowieso nur für die Finanzverwaltung zu erstellen ist. Das finde ich immer sehr schade. Da wird der Nutzen einer Verfahrensdokumentation für den Unternehmer völlig ignoriert. So wie es mit der Kommunikation zwischen Berater, Unternehmer und Betriebsprüfer ist, so ist es auch mit der Sichtweise auf die Verfahrensdokumentation. Jeder Steuerberater, der behauptet, dass er die Verfahrensdokumentation bei seinen Mandanten nicht durchbekommt, bei dem stimmt meines Erachtens die Kommunikation nicht.

Wenn ich eine Verfahrensdokumentation erstelle, ist das kein „Frage-Antwort-Spiel“, sondern eine Prozessoptimierung, eine Prozessgestaltung, eine Unternehmensberatung. Also das, was Sie in ihrem Namen, in ihrer Berufsbezeichnung stehen haben. Ich kenne mittlerweile viele Steuerberater, die ihre Neumandate direkt auffordern ihre Verfahrensdokumentation vorzulegen und wenn sie keine haben, dann ist das der erste Schritt im Rahmen der Zusammenarbeit. So lernt auch gleich der Steuerberater das Unternehmen kennen und damit auch, ob dieses überhaupt zur Kanzlei passt. Es gibt so viele gute Gründe als Unternehmer eine Verfahrensdokumentation zu erstellen: Prozessoptimierung, schnellere Einarbeitung von Mitarbeitern, kein Verlust von Wissen bei Krankheit oder Wechsel, diverse Notfallpläne oder Hinweis auf Datensicherung. Selbst bei Unternehmen, die eine „One-Man-Show“ sind oder Familienunternehmen, die Ihr gesamtes Wissen im Kopf des Inhabers gespeichert haben. Was passiert, wenn dieses Unternehmen keine Verfahrensdokumentation hat und dem Unternehmer etwas passiert, wenn er ganz plötzlich verstirbt? Die Erben müssen dann nach der „Fußstapfen Theorie“ den Betrieb weiterführen. Die haben keine Chance sich zeitnah in die Prozesse einzuarbeiten. Und ich sage das bewusst sehr deutlich, uns, als Finanzverwaltung interessiert das recht wenig. Wir halten uns dann an die Erben. Das können Sie natürlich auch auf andere Gesellschaftsformen übertragen. Wenn ich Gesellschafter, Geschäftsführer oder Prokurist bin, möchte ich mich doch auch ein bisschen absichern. Dann möchte ich doch auch das mein Aufgabengebiet irgendwo mal festgeschrieben wird. Das sind so viele positive Aspekte, sodass ich das sehr traurig finde, wenn man sich nicht mal in seinem eigenen Interesse ein paar Stunden Zeit nimmt, um eine Verfahrensdokumentation zu erstellen, sondern nur auf die Finanzverwaltung schimpft. Genauso gut kann man auch die Sichtweise vertreten, dass eine Betriebsprüfung das Beste ist, was einem Unternehmen passieren kann, da sich ein sachverständiger Dritter kostenlos – im ersten Moment auf jeden Fall – die Prozesse meines Unternehmens durchleuchtet. Wenn man dieses Thema positiv angeht und nicht als Monster oder als Bürde empfindet, kann man so viele positive Effekte damit erzielen.

Vollkommen richtig, also besser kann man es glaube ich nicht beenden: „Eine Betriebsprüfung ist das Beste, was mir passieren kann“. Frau Köchling, vielen Dank für das sehr gute und aufschlussreiche Gespräch.

Eugen Müller
Eugen MüllerPartner, Steuerberater, LL.M.

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